• DAS PROBLEM

    Mehr als 6 Millionen Menschen in Deutschland können nur einzelne Wörter oder Sätze lesen und schreiben. Ihre Fähigkeiten reichen zur funktionalen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht aus.

  • KEIN EINZELFALL

    6,2 Millionen Menschen haben große Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben. Umgerechnet sind das 12,1% aller Erwachsenen in Deutschland. Das entspricht der gesamten Bevölkerung von Berlin, Köln und München zusammen.

  • DIE GRÜNDE

    Es gibt nicht den einen Grund, warum Menschen Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben. Aber es gibt Gemeinsamkeiten: Zum Beispiel wenig Unterstützung in der Familie oder fehlende Lese- und Schreibvorbilder.

Analphabetismus oder was?

Das Problem

Unter Analphabetismus verstehen die meisten Menschen die Unfähigkeit lesen und schreiben zu können. Eine so stark ausgeprägte Schwäche ist in Deutschland allerdings sehr selten. Starke Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben hingegen sind weit verbreitert. 6,2 Millionen Menschen können nur einzelne Wörter oder Sätze lesen und schreiben, vergleichbar mit Grundschülern in der zweiten oder dritten Klasse. Am gesellschaftlichen Leben können sie meist nur eingeschränkt teilnehmen. 

Es gibt zwei Fachausdrücke für diese Form von Lese- und Schreibschwierigkeiten. „Geringe Literalität“ und „Funktionaler Analphabetismus“. Leider erklären sich beide nicht von allein. Außerdem wurde und wird „Funktionaler Analphabetismus“ in der Berichterstattung zu diesem Thema sehr oft zu Analphabetismus verkürzt. So werden aus „funktionalen Analphabeten“ plötzlich „Analphabeten“. Das ist geringschätzig gegenüber dem, was Betroffene bereits können und vermittelt ein falsches Bild. 

Trotz Schulpflicht hat jeder achte Erwachsene in Deutschland Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben. Betroffene überlegen sich genau, wem sie von ihrer Schwäche erzählen. Wenige gehen offen damit um. Denn obwohl sie im Alltag immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen sind, ist die Angst als „dumm“ abgestempelt zu werden, einfach zu groß.

Die Betroffenen

Kein Einzelfall

In unserer Gesellschaft spielt die Schriftsprache überall eine Rolle. Hast du schon einmal einen ganzen Tag lang nichts lesen oder schreiben müssen? 6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben, das ist jeder Achte, dem du begegnest. Betroffene gibt es in allen sozialen Gruppen und Altersklassen. 1,8 Millionen der Betroffenen in Deutschland sind übrigens zwischen 18 und 35 Jahre alt.
 

Haben die Betroffenen einen Schulabschluss?

40,6 Prozent verfügen über einen Haupt- oder Förderschulabschluss. 22,3 Prozent haben keinen Schulabschluss. Aber auch Personen mit höherer Bildung sind mit 16,9 Prozent vertreten.

Lese- und Schreibprobleme = Probleme am Arbeitsmarkt?

Nein, mit 62 Prozent ist mehr als die Hälfte der Betroffenen erwerbstätig. Knapp 13 Prozent sind arbeitslos und weitere 13,7 Prozent sind zu Hause, zum Beispiel als Hausfrau oder -mann oder in Frührente.

Nur ein Problem von Menschen mit Migrationshintergrund?

Nein. Mehr als die Hälfte, fast 53 Prozent, sind deutsche Muttersprachler. Über 47 Prozent haben zuerst eine andere Sprache gelernt.

Sind mehr Frauen oder Männer betroffen?

Männer haben häufiger Lese- und Schreibprobleme: Ihr Anteil liegt bei 58,4 Prozent. 41,7 Prozent der Betroffenen sind Frauen.

Wie kann das sein?

Soziale Gründe

Viele Betroffene haben Eltern, die keinen Schulabschluss haben, oder sie sind in sozial schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Manche kennen Gewalt, finanzielle Probleme und familiäre Ablehnung. Häufig gab es Hause wenig Hilfe bei schulischen Problemen. So beschreiben Erwachsene mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, ihre Schulzeit im Rückblick negativer als der Bevölkerungsdurchschnitt.
 

Keine Lese- und Schreibvorbilder

Es gibt aber auch Menschen, die aus einer intakten Familie kommen und kein ausreichendes Lese- und Schreibniveau erreichen. Wenn die Eltern kein Interesse am Lesen und Schreiben zeigen, überträgt sich das häufig auf die Kinder. Das bremst die Neugier und macht das Lernen schwierig.

Pädagogische Überforderung

Trotz ihrer Lese- und Schreibschwierigkeiten haben Betroffene in den meisten Fällen einen Schulabschluss. Ihre Schwäche haben sie zum Beispiel durch mündliche Leistungen ausgeglichen, manche sind durch eine wohlwollende Benotung irgendwie durchgekommen. Dabei ist übrigens eine einseitige Schuldzuweisung in Richtung der Lehrkräfte nicht richtig. Viele Schulen stehen heute vor großen Herausforderungen: Sie suchen Lösungen für Kinder, die ungünstige Bedingungen für das Lesen und Schreiben mitbringen. Schüler kommen mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen in die Grundschule und diese müssen ausgeglichen werden. Dabei sollten nicht nur Fachkräfte, sondern auch Eltern das Lernen aktiv begleiten.
 

Gesundheitliche Ursachen

Nicht jeder Mensch mit Lese- und Schreibschwierigkeiten hat eine Lese- und Rechtschreibstörung. Nur bei 7% der Betroffenen wurde in der Vergangenheit ärztlich z.B. eine Legasthenie diagnostiziert. Diese Teilleistungsstörung ist also allenfalls für einen kleinen Teil der Fälle verantwortlich.

ANZEICHEN RICHTIG DEUTEN

Wer nicht richtig lesen und schreiben gelernt hat, entwickelt viele Strategien, um davon abzulenken. Und die Betroffenen sind ziemlich fantasievoll, wenn es darum geht, das Problem zu überspielen. Wie kannst du funktionalen Analphabetismus ERKENNEN?